SO … Dann mache ich auch mal den Mund auf!

In Anbetracht der grauenerregenden Tatsachen die momentan in dem Land passieren in dem ich lebe, kommt es mir absurd vor über das aktuelle Wetter, die Hitze und die Jahreszeiten zu schreiben. Man kommt sich außerdem doof und unengagiert vor, wenn man über Serien und Filme schreiben möchte die man gerade sieht, geschweige denn wenn man Fotos teilen möchte, von Dingen die man sich gerade gekauft hat. Wie soll man den plötzlich prunkvoll und luxuriös wirkenden Alltag, den man oft für selbstverständlich hält, nun finden?

Ich halte die Luft an, mache kurz die Augen zu und bin einfach mal einen Augenblick lang dankbar für mein heutiges Leben und alles was ich habe …

… denn einen Augenblick lang später kommt alles wieder hoch. Der gewaltige Fremdenhass, der uns aktuell überrollt, diese ganzen Menschenschicksale und dieses Wort das ich schon lange nicht mehr gehört und fast schon vergessen hatte: „Flüchtlinge“. All das nehme ich sehr viel persönlicher als manch Anderer. Denn all das erinnert mich an MICH … mich und meine Eltern vor 23 Jahren. Auch wir sind als Kriegsflüchtlinge in dieses Land gekommen. Ich erinnere mich nicht gerne an diese Zeit zurück. Die meisten Erinnerungen hatte ich sogar erfolgreich verdrängt … bis jetzt. Im Moment fällt es mir leider sehr schwer mich nicht zu erinnern. Ich habe allerdings das Glück mich gut damit trösten zu können, dass JETZT alles gut, nein sogar mehr als nur gut ist. Ich habe mich zurechtgefunden, habe mir ein schönes Leben aufgebaut, und darauf bin ich sehr stolz. Es war nicht einfach dahin zu kommen. Ich erinnere mich aktuell jeden Tag daran wie schlecht wir damals aufgenommen wurden. Der anfänglichen finanziellen Hilfe des Staates alle Ehre, aber alle Versuche sich zu integrieren, Arbeit zu finden um sich eine Bleibe, Kleidung und was zu Essen leisten zu können, sind für meine Eltern immer und immer wieder gescheitert. Das Land stellte sich quer, warumauchimmer. Ich war „nur“ ein Kind (12), dass von den Österreichischen Kindern nur ungern und bei Gott nicht mit offenen Armen aufgenommen wurde, meine Eltern allerdings, hatten ALLES (bis auf einen armseligen Koffer für uns alle 3) verloren was sie sich aufgebaut hatten, und mussten wieder bei Null anfangen. Und das ohne all die geliebten Menschen, die sie auch zurücklassen mussten. Trotzalledem wären sie gewillt gewesen diesen Schritt zu gehen, sie wollten arbeiten, ein normales Leben führen, von vorne anfangen. Doch man lies sie nicht, unterschätze sie, behandelte sie wie Menschen zweiter Klasse (einen Mathematikprofessor und eine Chemietechnikerin), bis ihr Wille gebrochen wurde.

Diese Zeilen zu schreiben drückt mir gerade enorm auf die Tränendrüse, und ich halte mir wieder ganz schnell vor Augen, dass heute … 23 Jahre später, alles gut ist, ich meinen Eltern einen Enkelsohn geschenkt habe und sie wieder einen Grund haben glücklich zu sein. Sie lachen wieder und das ist für mich das allerschönste Geschenk. Wir sind immer noch hier, sind keine Flüchtlinge mehr, sondern Österreicher mit österreichischem Pass … und trotzdem … sitze ich manchmal da, sehe mir meine fast verheilten Wunden, die wieder aufgerissen wurden an, weil ich aus furchtbar unmenschlichen Gründen wieder daran erinnert wurde, dass sich seit damals an der Einstellung der Menschen hier nichts geändert hat, im Gegenteil … und fühle mich wieder wie eine Außerirdische, die nicht hierher gehört.

An dieser Stelle muss ich unterbrechen, denn ich will hier nicht über mich schreiben und ich will auch kein Mitleid, denn mir geht es gut, jetzt. Ich habe mich durchgekämpft, und dieses Leben von damals ist nur noch ein dunkler Fleck in meiner Vergangenheit. Was ich aber allen die den „Flüchtlingen“ so negativ gegenüber stehen sagen möchte ist: ALLES was man hat zu verlieren, um dann ganz weit weg von zuhause in einem fremden Land, dessen Sprache man nicht spricht oder versteht, so negativ aufgenommen zu werden, ist das schlimmste Gefühl der Welt. Es ist schlimmer als sterben! Und das vergisst man nie wieder. Ich wünsche dieses Schicksal niemanden auf der Welt, aber ich wünsche mir einen Denkanstoß, egal welcher art, für all die die die Bedeutung des Wortes Empathie nicht verstehen. Nochmal zum mitschreiben … Stellt euch einfach mal vor, euch würde es so gehen, verdammt!!!

12 Gedanken zu “SO … Dann mache ich auch mal den Mund auf!

  1. Ein sehr persönlicher Beitrag, der mich gerade zu Tränen gerührt hat. Ich selber musste diese Situation nie erleben, aber es macht mich traurig, mich in die Lage der vielen Flüchtlinge zu versetzen und zu sehen, mit welchem Hass und welcher Abneigung ihnen begegnet wird. Deine Geschichte macht das noch so viel greifbarer.

    Like

  2. Goga, Kompliment – phantastisch geschrieben . Aber Dein Aufruf an die Querdenker halte ich für vergebliche Liebesmüh. Es gibt eben Leute, die haben wirklich zu wenig Phantasie, um sich in so eine Situation hineinzudenken , darum werden sie ihre Meinunung auch nicht so schnell ändern – leider. 😐

    Like

  3. Das geht an die Nieren, Gorana. Und macht mich wütend zugleich.
    Wenn man lesen muss wie bspw. unschuldige Kinder von diesem „Ich bin kein Nazi, ABER…“-Pack behandelt wird. Da fragt man sich doch, wer denen ins Hirn ge******** haben muss. Dass ein Mensch sowas überhaupt gar nicht fühlen kann, das macht Angst. Das lässt einen ungläubig zurück.

    Like

  4. Da hast du einen überaus persönlichen und auch berührenden Text geschrieben, der mich umso trauriger gemacht hat. Die Tatsache, dass die Menschen sowas schon vor vielen Jahren erlebt haben und dass sich bis heute nichts daran geändert hat, ist wirklich erschreckend. Besonders dann, wenn man wie du das selbst erlebt hat – meinem Freund geht es ganz ähnlich, er ist mit seiner Familie auch vor ungefähr 22 Jahren hierher gekommen und seine Familie hat zwar nicht ganz so schlimme, aber doch in manchen Punkten ähnliche Erfahrungen gemacht. Es ist so traurig, dass die Menschen einfach nicht zusammenhalten können.

    Like

  5. Ich wusste gar nicht, dass ihr so einen schlechten Start in Österreich hattet und das beschämt mich sehr und macht mich traurig. Umso dankbarer bin ich jetzt, dass ihr (du und deine Eltern) hier seid und ich dich meine Freundin nennen darf. Ich wünsche mir von Herzen, dass sich schnell etwas ändert, denn so kann und darf es nicht weitergehen. Es bricht mir das Herz (besonders als Mama) wenn ich davon lese und höre was diese Menschen alles ertragen müssen, ganz besonders auch die Kinder….Ich verstehe das nicht – wir sind doch alle gleich!!!

    Like

  6. Danke für diesen wunderbaren und sehr persönlichen Eintrag. Das sollte das Thema selbst für die verbortesten Idioten ins rechte Licht rücken. Leider wird ihn von diesen natürlich niemand lesen. Ich bin auch fassungslos, was zurzeit passiert und kann es gar nicht richtig greifen. Da merkt man erst einmal wieder, wie groß diese braune Suppe immer noch ist. Sollte man eigentlich nicht glauben. Fassungslos.

    Like

  7. Auch von mir herzlichen Dank für diesen sicherlich nicht leicht zu schreibenden Beitrag, der für viele Menschen spricht, die heute noch nicht zu uns sprechen können oder die wir nicht hören. Erfahrungsberichte sind wichtig, wichtiger als Mitleidsbekundungen von Außenstehenden. Wahrscheinlich lesen es wirklich nicht diejenigen, die es nötig haben, und wenn doch, sind sie wahrscheinlich zu verbohrt in ihrem selbstzentrierten Denken. Aber je mehr Menschen den Mund aufmachen, desto eher hören die zu, die etwas ändern können – hoffentlich.

    Like

  8. Da hatte ich jetzt auch fast die Tränen in den Augen. Das Problem ist aber heute: diese ganzen empathielosen Vollidioten – zu nichts fähig, als ihr eigenes Scheitern auf andere zu projizieren – würden so bewegende Worte wohl einfach an sich abprallen lassen. Wo sind Werte wie Respekt, Mitleid, Hilfsbereitschaft hin? Ich kann es einfach nicht glauben, was gerade so passiert. Nicht dass die ganzen Deppen, die aktiv Gewalt ausüben reichen würden – fast noch mehr schockiert mich, wie die Situation vor den Augen der Regierung erstmal vollkommen eskalieren muss, bevor das klein- und schönreden ein Ende hat und endlich auch nur mal in Erwägung gezogen wird, auszusprechen dass es wieder ein ganz, ganz großes rechtsradikales Problem gibt!

    Like

  9. Bei all dem was in den Nachrichten gezeigt wird, muss ich neben den Bildern der Flüchtlinge immer an dich und 2 andere Freunde hier aus meiner Stadt denken (einer aus Griechenland, eine aus Albanien) und bin ebenso fassungslos. Ich denke keiner von uns kann die vollkommene Härte eurer Situation zu 100% verstehen, da gibt es bestimmt Dinge die euch passiert sind, an die im ersten Moment keiner denkt, der noch nicht selbst in der Situation war. Aber zu einem denkenden Menschen gehört, dass man es wenigstens annähernd fassen und verstehen kann. Ich finde den Gedanken schrecklich alles hinter sich lassen zu müssen und bewundere die Leute, die sich ein neues Leben wo anders aufgebaut haben 😦 Es tut mir sehr leid, dass dieser aktuelle Wahnsinn so an dir nagt … ich finde es auch peinlich, dass Länder in Europa, die es inzwischen besser wissen müssten, so einknicken und auch die Abwicklung der Prozesse nicht besser hinkriegen. Da meine Mutter in einem Einwohnermeldeamt arbeitet, bekomme ich manchmal Schicksale erzählt. So wenn beispielsweise Asylbewerber durch den Prozess durch sind, aus dem Bewerberheim raus müssen und danach keine Ahnung haben wo sie hinsollen. Da ist keiner mehr da, der sich drum kümmert und sie sind sich selbst überlassen. Und die Kommentare, die viele Menschen von sich geben, sind extrem … . Ich hatte auch erwartet, dass „wir“ (das will ich am liebsten gar nicht sagen), dass Deutschland und Österreich, besser sind.

    Like

  10. Ich wollte dir auch noch für diesen ehrlichen, persönlichen und bewegenden Artikel danken, der uns wohl alle zum Nachdenken anregt, wobei das schlimme, wirklich tragische ist, dass wir da wohl alle voll bei dir sind und – jacker hat es schon richtig erkannt – dein Apell, deine Worte an den ganzen Idioten schlicht abprallen würde, würden sie überhaupt bei ihnen ankommen. Denn wer so denkt, zeigt schon, dass er zu Reflektion, Empathie, Mitgefühl nicht imstande ist und mit so jemand kann man einfach nicht diskutieren, zumal dann das vielzitierte „Ich bin/finde/meine ja nicht, aber“-Totschlagargument ausgegraben wird.

    Ich erlebe das auch, im Freundes-, Familien-, Bekanntenkreis und es macht ohnmächtig, fassungslos, gerade im eigenen Umfeld genau diese Worte zu hören, nachgeplappert und unreflektiert von sich gegeben, ohne dass sich wer mal die Mühe machen würde, sich in diese Lage zu versetzen beziehungsweise es überhaupt zu versuchen, denn nachfühlen können wir das alle nicht, nicht in seiner Gänze und deshalb hat mich dein Artikel auch so bewegt, denn du weißt wie es ist, wie es war, zeigst aber auch auf, dass es besser wird, werden kann.

    Dass braunes Gedankengut noch längst nicht verschwunden ist, darüber brauchte ich mir nie Illusionen zu machen, aber dieser Tage kriecht es wieder aus jedem Loch und plötzlich scheint akzeptiert zu sein, solch eine im Grunde abstoßende und verurteilenswerte Meinung zu vertreten und das ist beinahe noch erschreckender als die verqueren Gedanken dieser Idioten an sich.

    Like

  11. Danke euch allen für die wundervollen Worte. Freut mich, dass ich auch in meiner kleinen Bloggerwelt so tolle Menschen um mich habe!!! ❤ … Und natürlich auch im Real Life Mäggi und Bernhard. 🙂

    Like

Was meinst du dazu? (Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deines Namens und deiner E-Mail-Adresse durch diese Website einverstanden. *)