Kleine Geschichten zu Filmen: Ausgabe #4 – Manchester by the Sea (2016, Kenneth Lonergan)

Ich muss zugeben, wäre der Film nicht für den Oscar nominiert gewesen, hätte er vermutlich nicht mein Interesse geweckt, zumidest nicht zum akteullen Zeitpunkt. Ein Regisseur, den ich nicht kenne, Casey Affleck den ich zwar schon kenne, aber bisher noch keinen Film mit ihm gesehen habe (kleine Nebenrollen ausgeschlossen). Ohne besonderen Grund. Hat sich einfach nicht ergeben. Aber da er gerade aktuell im Kino meines Vertrauens lief, und die Oscarverleihung durch die Sichtung des Films an Spannung gewinnen würde, habe ich beschlossen ihn mir anzusehen. Hinzu kommt, dass ich mir weder den Trailer angesehen habe, noch habe ich irgendwelche Rezensionen darüber gelesen. Ich wußte wer mitspielt, unter anderem Michelle Williams, die bei ihrer Rollenwahl nur selten etwas falsch macht. Ich wußte, dass es ein Drama ist, und eine tragische Familientragödie zum Thema hat. Soviel zu Ausgangslage.

manchester

Dann saß ich da, sah Casey aka Lee Chandler zu wie er apathisch seine Arbeit als Hausmeister verrichtet. Dann kommt der Anruf, dass sein Bruder im Sterben liegt. Er macht sich sofort auf den Weg von Boston nach Manchester, aber er kommt leider zu spät. Sein Bruder hat es nicht geschafft. Der Film arbeitet mit Rückblenden. Ich erfahre dadurch, dass er an einer Herzschwäche litt und sein Tot absehbar war, dass er nun einen Sohn zurückläßt, dessen Mutter vor einiger Zeit abgehauen ist und keiner weiß wo sie ist. Lee liebt seinen Neffen Patrick wie seinen eigenen Sohn, was auch durch die Rückblenden sehr gut vermittelt wird. Die längste Zeit ist für mich klar, dass das diese Tragödie ist, die der Film erzählt. Ich habe mich quasi darauf eingestellt, dass das schlimmste überstanden ist, und die beiden nun eine zeitlang trauern um dann ihr Leben wieder weiter zu leben. So ist das aber nicht. Nachdem der letzte Wille des Bruders danach verlangt, dass Lee die Vormundschaft für Patrick übernehmen soll, und deswegen wieder nach Manchester ziehen soll, kommt die tatsächliche Tragödie seines Lebens ans Licht. Ich bin regelrecht schockiert und am Boden zerstört. Die Wucht dieses entsetzlichen Trauerspiels trifft mich wirklich unerwartet und lässt mich nicht mehr los. Es wird mir nicht nur klar, warum er nicht in Manchester bleiben kann, obwohl er seinen Bruder über alles geliebt hat, und seinen Sohn niemals im Stich lassen könnte, ich kann auch verstehen warum er so ist, wie er ist. Ich kann nachvollziehen warum er sein Leben nicht lebt, sondern einfach nur erträgt. 

Ich gehe glücklich aus dem Kino. Glücklich darüber, dass ich diesen dramaturgisch unglaublich gut umgesetzten Film jetzt kenne. Glücklich darüber ihn an mich herangelassen zu haben. Glücklich darüber, dass er es zu 100 % geschafft hat mich in seinen Bann zu ziehen, mich zu schockieren und in mir eine reale Traurigkeit zu erzeugen. All das liegt daran, dass der Film sehr authentisch ist, auf Kleinigkeiten achtet, und die Rückblenden ganz wunderbar eingearbeitet wurden. Tja, und der Oscar für den kleinen Affleck Bruder ist meiner Meinung verdient  (wobei ich zugeben muss, dass ich natürlich nicht alle in dieser Kategorie nominierten Rollen kenne), und er ist ab sofort für mich nicht mehr nur ein weiter Hollywood Name, sondern ein Weltklasse Schauspieler, dessen Arbeit für mich nun von großem Interesse sein wird. Ebenso verdient natürlich auch die Auszeichnung für das Original Drehbuch für den Regisseur und Drebuchautor Kenneth Lonergan. 

3 Gedanken zu “Kleine Geschichten zu Filmen: Ausgabe #4 – Manchester by the Sea (2016, Kenneth Lonergan)

  1. Ging mir genauso mit diesem Film und Casey Affleck, den ich irgendwie immer noch als Anhängsel in „Good Will Hunting“ in Erinnerung hatte. Umso schöner, wenn ein Film einen so überraschend packt.

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  2. Ja, der kommt schon mit Wucht, der Film. Affleck ist aber auch verdammt gut in seiner stoischen, grüblerischen, unnahbaren Art. Michelle Williams fand ich in ihrer Rolle allerdings mehr als verschenkt.

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