Ich komme langsam voran mit meiner 100 Bücher Liste, mit Betonung auf langsam. Ich würde gerne mehr lesen, aber ich würde auch gerne mehr schreiben, zeichnen, Filme und Serien schauen. Aber eigentlich mache ich all das die meiste Zeit nicht, sondern erledige meine Pflichten, mache Zukunftspläne und spiele mit dem Sohn (was ich mindestens genauso gerne tue, wie lesen, schreiben, filme- und serienschauen), füttere und wickle ihn. Ein wunder, dass ich überhaupt zum Lesen komme.
Der Inhalt
Alina Bronsky lässt in ihrem neuen Roman eine untergegangene Welt wieder auferstehen. Komisch, klug und herzzerreißend erzählt sie die Geschichte eines Dorfes, das es nicht mehr geben soll – und einer außergewöhnlichen Frau, die im hohen Alter ihr selbstbestimmtes Paradies findet.
Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die tickenden Geigerzähler und die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sich die ehemalige Krankenschwester mit Gleichgesinnten ein neues Leben im Niemandsland auf. Wasser gibt es aus dem Brunnen, Elektrizität an guten Tagen und Gemüse aus dem eigenen Garten. Die Vögel rufen so laut wie nirgends sonst, die Spinnen weben verrückte Netze, und manchmal kommt ein Toter auf einen Plausch vorbei. Während der sterbenskranke Petrov in der Hängematte Liebesgedichte liest und die Melkerin Marja mit dem fast hundertjährigen Sidorow anbandelt, schreibt Baba Dunja Briefe an ihre Tochter Irina, die Chirurgin bei der deutschen Bundeswehr ist. Doch dann kommt ein Fremder ins Dorf – und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung. (Quelle: Verlagsseite)
Was habe ich erwartet?
Das Buch wurde mir als kraftvoll und voller Poesie, Herz und Witz verkauft. Es sollte wohl eine märchenhafte und zugleich fesselnd gegenwärtige Geschichte sein. Erwartet habe ich eine außergewöhnliche Geschichte, über außergewöhnliche Menschen. Ich habe mir Ruhe und Gelassenheit erwartet. Etwas schönes neues, das an einem Ort stattfindet an dem ich in meiner Phantasie nie zuvor war.
Wie fand ich das Ganze?
Es war tatsächlich wie erwartet. Ein außergewöhnliches kleines Buch. Einfach, aber sehr gut geschrieben. An keiner Stelle fand ich weder die Sprache unpassend oder banal, noch Begriffe schlecht gewählt. Alina Bronsky scheint eine besondere Frau, mit spezieller Vergangenheit zu sein, aus der sie gerne schöpft. Es ist bestimmt auch nicht leicht eine Ich-Erzählung aus der Sicht einer sehr alten Frau zu verfassen, wenn man selbst noch in den 30ern steckt. Ich finde das ist ihr nicht schlecht gelungen, obwohl Baba Dunja stellenweise schon etwas jünger wirkt, als sie es eigentlich sein soll.
Die Geschichte ist gut. Ich mag die tödliche, aber idyllische Stimmung in Tschernowo und die verrückten alten Menschen die dort zusammen und doch für sich alleine leben.
Ich mag die absolute Ruhe die da herrscht, und die alle Bewohner mehr als alles Andere auf der Welt schätzen. Ich mag die Vorstellung, dass sie alles andere aufgegeben haben um ungestört den Lebensabend zu verbringen. Es hätte mir nichts ausgemacht, wenn sich die Geschichte ausnahmslos in diesem Dorf abgespielt hätte. Ich komme aber auch mit der Wendung klar die stattfindet, als ein fremder Mann ins Dorf kommt und alles durcheinander bringt. Den Ausgang der Geschichte mag ich auch. Ich komme nur nicht ganz mit der einen (wichtigen) Sache klar, die nicht aufgeklärt wird. Denn es ist dauernd davon die Rede, es ist wichtig und schwebt bis zum Ende dauernd im Raum und man wartet, wartet darauf es endlich zu erfahren … und dann ist die Geschichte erzählt, und man wird mit seiner Neugierde allein gelassen. Anderseits ist es auch so, dass Baba Dunja es von Anfang an für sich behalten wollte, und keiner anderen Menschenseele davon erzählen wollte, somit auch uns, den Lesern, nicht. Das kann ich akzeptieren und respektieren, auch wenn ich mir als Leserin schon erwarte alles zu wissen was der Ich-Erzähler auch weiß. Aber sei es so … ich mag das Buch trotzdem sehr.
Mein liebstes Zitat aus dem Buch
„Was ich in Tschernowo niemals gegen fließend Wasser und eine Telefonleitung eintauschen würde, ist die Sache mit der Zeit. Bei uns gibt es keine Zeit. Es gibt keine Fristen und keine Termine. Im Grunde sind unsere täglichen Abläufe eine Art Spiel. Wir stellen nach, was Menschen normalerweise tun. Wir müssen weder morgens aufstehen noch abends ins Bett gehen. Wir könnten es auch genau umgekehrt machen. Wir spielen den Tag nach, wie Kinder mit Puppen und Kaufmannsladen das Leben nachspielen.
Zwischendrin vergessen wir, dass es noch die andere Welt gibt, in der die Uhren schneller gehen und wo alle schreckliche Angst vor dieser Erde haben, die uns ernährt. Diese Angst sitzt tief in den anderen Menschen, und die Begegnung mit uns bringt sie an die Oberfläche.“
Details zu meiner Version des Buches
Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
Verlag: Kiepenheuer&Witsch (17. August 2015)
Sprache: Deutsch